Schonmal von „Lecktüchern“ gehört?
Was ist ein Lecktuch und warum ist es so wichtig?
Die Aktivistin und Bloggerin Jorinde Wiese setzt sich seit einem Jahr für das Thema Verhütung beim Oralsex und anderen Aufklärungsthemen auf ihren Social Media Plattformen ein. Die Verhütung durch zum Beispiel Kondome ist weit verbreitet. Seit dem Jahr 1870 werden Kondome serienmäßig hergestellt. Sie wurden zunächst aus vulkanischem Kautschuk gefertigt und ab den 1930ern aus Latex, dem Material, aus dem sie auch heute noch hergestellt werden. Einige der größten Kondom-Anbieter sind zum Beispiel Durex, Billy Boy oder Trojan. Eine Organisation hat 2014 für Bekämpfung von Aids, Tuberkulose etc. ca. 5 Milliarden Kondome umsonst an verschiedene Bevölkerungsgruppen verteilt. Aus Studien ist bekannt, dass Kondome zu 95 % sicher vor Geschlechtskrankheiten schützen. Statistiken zeigen, dass 45 % der befragten Personen Kondome außerdem nutzen, um eine Schwangerschaft zu verhindern. In einer weiteren Umfrage im Jahr 2016 berichteten 71 % der Männer, dass sie in lockeren Bettbeziehungen Kondome zur Verhütung benutzen. Kondome sind sehr bekannt, das Wissen über sie ist weit verbreitet.
Lecktücher sind sehr unbekannt. Dennoch sind sie als Verhütungsmittel genauso wichtig wie Kondome.
Doch wie sieht das mit den Lecktüchern aus? Was ist überhaupt ein Lecktuch?
Ein Lecktuch* ist ein quadratisches Tuch aus Latex. Es wird dazu verwendet, es auf Vulven zu legen, um die Übertragung von Geschlechtskrankheiten zu vermeiden. Lecktücher sind sehr unbekannt. Dennoch sind sie als Verhütungsmittel genauso wichtig wie Kondome. Das Lecktuch war ursprünglich ein Produkt aus der Zahnmedizin und wurde im Zuge der Aids-Welle als Verhütungsmittel bekannter. HIV überträgt sich allerdings nicht oral, dafür aber alle anderen Geschlechtskrankheiten. Trotz dessen hat sich Jahrzehntelang nichts verändert, es gibt keine Kampagnen für das Lecktuch. Teilweise ist es heutzutage ein Teil der Aufklärung, jedoch nur selten.
Warum ist das Lecktuch so unbekannt?
Es gibt verschiedene Gründe. Durch die vielen Kampagnen, um Kondome bekannter zu machen, ist das Lecktuch in den Hintergrund gerückt. Die Kampagnen gibt es für die Lecktücher nicht. Außerdem geht es beim Oralsex für viele immer noch um ein Tabuthema. „Es gibt viel Scham und einfach kein normaler Umgang mit dem Thema Verhütung. Es fehlt komplett an der Basisaufklärung“, erklärt Jorinde.
Dabei ist die Produktion von Lecktüchern eigentlich eine Marktlücke und der Bedarf ist da. Dennoch produziert kein großer Hersteller Lecktücher*.
Woher bekommt man also ein Lecktuch?
Jorinde wollte wissen, wie zugänglich die Tücher wirklich sind. Also rief sie bei 22 Apotheken in der Stadt Freiburg an, um nach dem Lecktuch zu fragen. Das Ergebnis war erschreckend. Denn die Apotheker/innen waren nicht besonders informiert, viele hatten noch nie etwas von dem Produkt gehört. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rät sogar dazu, sich das Lecktuch selbst zu basteln. „So etwas würde man niemals bei Kondomen geraten bekommen“, sagt Jorinde. Die andere Möglichkeit ist laut der Bundeszentrale in die Apotheke zu gehen und das Lecktuch dort zu erhalten. Jorindes Experiment zeigt jedochdass auch das nicht funktioniert. Sie stellt fest, dass 21 von 22 Apotheker/innen das Produkt gar nicht erst kannten. Weitere 7 von 22 Apotheken hätten es ihr bestellen können, die anderen nicht. Diejenigen die es hätten bestellen können, boten die Tücher lediglich von einer Firma und mit zwei Geschmacksrichtungen, Erdbeere und Vanille, an. Keine Drogerie bietet das Produkt an, man kann es ausschließlich online erhalten.
Der Sinn dahinter ist nicht in Angst und Panik vor den Krankheiten zu verfallen, sondern letztendlich einfach eine Möglichkeit zu bekommen, Verantwortung zu übernehmen.
Warum sind Lecktücher eigentlich wichtig? Wieso sollte es leichter erhältlich sein?
Es ist wichtig damit alle gleichermaßen die Möglichkeit haben, zu entscheiden ob sie verhüten möchten, und damit sich und Andere zu schützen. Jeder sollte das nötige Wissen besitzen, um bewusst diese Entscheidung zu treffen. Ohne die Aufklärung über oralen Verkehr und die dadurch übertragbaren Krankheiten, fehlt das Wissen darüber und damit kann auch keine Entscheidung getroffen werden.
„Ich habe selbst durch Herpes an der Lippe Genitalherpes bekommen ohne zu wissen, dass sich das so überträgt. Ich habe dann zum Beispiel zwei Gynäkologinnen gefragt wie ich verhüten kann, damit ich das niemals jemandem weitergebe. Die Antworten waren schlecht. Beide haben mir nie von Lecktüchern etwas erzählt. Ich hätte andere damit schützen können, wusste es aber nicht. Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass man eine Vulva schützen kann. Und genau da fängt es an. Diese Aufklärung brauchen wir. Später habe ich meine Gynäkologin darauf angesprochen und ihr gesagt das mir diese Information gefehlt hat und warum ich das selbst recherchieren musste. Dann fragte sie, was denn das Lecktuch wäre, sie habe noch nie davon gehört. Sie kannte es nicht“, erzählt Jorinde.
Es gibt alle möglichen STI’s (Sexually transmitted disease) und die Zahlen steigen. Darum ist es wichtig informiert zu sein. Im Jahr 2001 gab es in Deutschland 1500 Syphilis Fälle, 2016 waren es bereits 7500 Fälle. Wieso wissen also trotz des Anstieges nicht mehr Menschen über die Lecktücher Bescheid?
Eine Sache, die dahinter stecken könnte, ist das die meisten Menschen, wenn sie an Sex denken, meistens an die Penetration und nicht an Oralsex denken. Oralsex ist allerdings genauso Sex. Denn sobald Schleimhäute ungeschützt aufeinandertreffen können alle möglichen Viren und Bakterien übertragen werden. In einer Generation, in der ein Wechsel von Partnern relativ häufig stattfindet, ist es besonders wichtig sich dessen bewusst zu sein und sich auch mal testen zu lassen. Für Jorinde war die Erkenntnis, dass sie eine Entscheidung treffen kann eine Erleichterung. „Ich weiß bewusst ich kann mich und andere schützen und das ist für mich ein riesiger Mehrwert“, sagt Jorinde. Der Sinn dahinter ist nicht in Angst und Panik vor den Krankheiten zu verfallen, sondern letztendlich einfach eine Möglichkeit zu bekommen, Verantwortung zu übernehmen.
Ein weiterer Grund für die Unbekanntheit der Lecktücher könnte sein, dass die meisten bei dem Thema Verhütung eher an die Schwangerschaftsprävention denken. Durch das Stigma von vielen STI’s fällt es vielen Menschen schwer, offen mit ihrem eigenen STI Status umzugehen. Herpes zum Beispiel tritt immer wieder auf und kann zu einer psychischen Belastung führen, sowie einer sozialen Isolation. Darum setzt sich Jorinde seit einem Jahr für das Thema Aufklärung ein, um es selbstverständlicher zu machen.
„Sex ist für mich consent. Alles was auf consent (Zustimmung, beiderseitiges Einverständnis) basiert, ist für mich schon Sex. Ich finde es traurig, dass wir Kategorien aufmachen. Also einfach dieses Spektrum mal aufmachen und offen für alles sein, das ist für mich momentan Sex“
Hat es sie Überwindung gekostet und was sagt eigentlich ihr Umfeld dazu?
„Ja das war eine riesige Überwindung. Als ich für mich sortiert hatte, dass ich so verhüten kann und was Lecktücher sind, war mir klar, dass ich dieses Wissen nicht für mich behalten kann“, sagt Jorinde.
SIe wollte ihr eigenes Buchprojekt ursprünglich unter einem Pseudonym veröffentlichen. Jedoch entschied sie dann, zu ihrer Geschichte zu stehen und schämte sich nicht mehr. Dieser Schritt hätte ein Jahr gedauert, meint sie. Die Reaktionen darauf waren durchweg positiv und unterstützend. Die einzigen negativen Reaktionen, die sie bekam, waren Fragen, die eine private Grenze überschritten. Ihre Familie jedoch stand hinter ihr und Jorinde habe „alle aufgeklärt“.
Dass es Menschen braucht, die das Thema Verhütung beim Oralsex öffentlich ansprechen, zeigt auch das Beispiel Menstruationstasse*.
Diese wurde schon im Jahr 1937 von einer Frau erfunden. Heute im Jahr 2020 gab es einen regelrechten Boom. Viele Firmen bieten die Tassen an und das Thema wird entspannter behandelt.
Doch was bedeutet eigentlich Sex für Jorinde persönlich?
„Sex ist für mich consent. Alles was auf consent (Zustimmung, beiderseitiges Einverständnis) basiert, ist für mich schon Sex. Ich finde es traurig, dass wir Kategorien aufmachen. Also einfach dieses Spektrum mal aufmachen und offen für alles sein, das ist für mich momentan Sex“, antwortet Jorinde.
Jorindes Ziel ist es, das die Lecktücher* zu einem selbstverständlichen Produkt werden, so selbstverständlich wie auch Kondome.
„Ich möchte in einen DM gehen können und in einem Regal mich zwischen allen möglichen Produkten entscheiden dürfen. Ich möchte vor allem auch, dass junge Frauen einen selbstbewussteren Umgang mit ihrem Körper haben und sich fragen, ob sie selbst geschützt sind und wie sie andere schützen können. Anstatt der Scham muss Empowerment zum Thema Oralsex und Verhütung her. Weg mit der Scham!“, erklärt Jorinde zum Abschluss.
Eros und Psyche – Der Podcast
Hosts: Miriam Mottl, Frauenärztin und Sexualmediziner / Michal Hulik, Psychologe und medizinischer Podcaster
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